Ich hatte mir diesen Tag anders vorgestellt. Klar, Langdistanzen sind nie einfach – das ist ja genau der Reiz. Aber dass ich beim Radfahren auf einer Parkbank liegen würde und ernsthaft überlege, auszusteigen, hatte ich nicht auf dem Zettel.
Die Vorbereitung lief alles andere als rund. Viel beruflicher und privater Stress. Zahnprobleme. Und fünf Wochen vor dem Start hat mich eine Grippe komplett aus dem Training geworfen. Den Rennsteig-Ultralauf (74km), der eigentlich als Generalprobe für den Langdistanz-Marathon gedacht war, musste ich absagen. Ich hatte keine Ahnung, was ich von Moritzburg erwarten sollte – aber ich wollte trotzdem starten. Schließlich kannte ich die Strecke schon von einer Mitteldistanz und wusste, was auf mich zukommt. Dachte ich.
Trotz allem: Der Einstieg ins Rennen war gut. Das Schwimmen morgens um 7 Uhr fühlte sich ruhig und kontrolliert an. Keine Hektik, kein Kampf. Ich fand schnell meinen Rhythmus und kam entspannt durch die 3,8 Kilometer. Ich fühlte mich super, als ich in der Wechselzone zu essen anfing und aufs Rad stieg.
Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste: Auf dem Rad wartete mein Tiefpunkt. Die Temperaturen stiegen über 30 Grad, aber durch den Fahrtwind habe ich das kaum gespürt. Ich bin mit viel zu viel Schwung in die Anstiege und den Gegenwind, mein Pacing war schlecht.
Nach 133 Kilometern war ich am Boden. Ich rollte rechts ran, klickte aus, legte mich rücklings auf eine Bank und starrte in den Himmel. Auf der Strecke zischten bereits die Mitteldistanzler vorbei. Mein Kopf sagte: „Es reicht.“ Mein Körper sagte nichts mehr. Ich war kurz davor, das Rennen zu beenden. Ich haderte mit mir. Hatte ich diese ganzen Strapazen jetzt auf mich genommen, um noch nichtmal das Laufen zu erreichen – meine eigentliche Paradedisziplin?
Ich stand wieder auf, stieg wieder aufs Rad – und fuhr weiter. Auf dem kleinen Kettenblatt, aber mit stetiger Kadenz.
Nach 6:12 Stunden kam ich zurück in die Wechselzone. Kein Paukenschlag, aber noch solide.
Vor dem Marathon trug ich noch einmal Sonnencreme auf. Es war 15 Uhr, die Sonne stand hoch. Verpflegungsgürtel umschnallen, Wasser und Salz dabei, auf geht's. Die erste Runde lief überraschend gut – ich musste mich sogar drosseln.
Doch dann fing das rechte Knie an zu schmerzen. Gleichzeitig wurde mir schwindelig. Der Magen verweigerte die Energieaufnahme. Ich konnte nur noch trinken. Und egal wie viele Datteln und Gels ich aß, nichts was im Training funktioniert hatte, funktionierte mehr. Ich war sauer auf mich. Auf meinen Körper. Auf jeden verdammten Höhenmeter.
Aber darum geht es hier nicht, sondern um Durchatmen, Landschaft genießen, weitermachen. Trotzdem: Nach 20 Kilometern war Schluss. Ich wollte den Sanitätern nicht noch mehr Arbeit machen, als sie an diesem heißen Tag ohnehin schon hatten. Am Ende kassierte 25% der Langdistanz-Teilnehmer ein DNF – did not finish.
Was besonders weh tat: Die Helfer und Zuschauer feuerten mich an, riefen, "Du siehst gut aus, machst das stark!". Dass ich gleich rausgehen würde, wusste niemand. Nach drei von sechs Runden war Schluss.
Ich war den Tränen nah. Fast elf Stunden auf den Beinen – und dann kein Zielbogen, keine Medaille. Ein Zieleinlauf in die Wechselzone, weg mit dem Transponder, und dann schlich ich zu meinem Rad und wollte niemanden sehen.
Aber heute, ein paar Tage später, sehe ich es anders. Ich bin gestartet, obwohl die Vorbereitung mies war. Ich bin weit gekommen. Ich habe mich durch Tiefpunkte gekämpft und bin an einem Punkt ausgestiegen, an dem es vernünftig war.
Es war kein glorreiches Finish – aber es war mein Bestes unter diesen Bedingungen. Und das zählt.
Eine Langdistanz zeigt dir nicht nur, was du körperlich leisten kannst. Sie zeigt dir, wer du bist, wenn es nicht läuft.
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